Ein Oberarmkopfbruch (Humeruskopffraktur) entsteht durch Sturz auf den ausgestreckten Arm oder direkt auf die Schulter. Beim jungen Menschen ist eine größere Krafteinwirkung erforderlich, wie sie zum Beispiel bei Ski-/Rad-/Motorrad- oder Reitunfällen auftritt. Je älter und schwächer die Knochensubstanz ist, um so eher reichen auch Stürze im Alltag aus, um einen Knochenbruch zu verursachen.
Anatomisch unterscheidet man 4 Knochenteile, die alleine oder in Kombination betroffen sein können: 1. der Oberarmkopf im engeren Sinn mit seiner Gelenkfläche zur Schulterpfanne. 2. der große Rollhöcker (Tuberkulum majus) als knöcherner Ansatz für die Sehnen, die den Arm abheben und nach außen drehen. 3. der kleine Rollhöcker (Tuberkulum minus) als knöcherner Ansatz für die Sehne, die den Arm nach innen dreht. 4. der Oberarmschaft, also der große Röhrenknochen auf dem der Oberarmkopf aufsitzt.
Die Verletzung ist als umso schwerer ein zu schätzen, je mehr Knochenteile betroffen sind und je stärker sie gegeneinander verschoben und verkippt sind. Ursache für Folgeschäden ist zum einen die Störung der komplexen Biomechanik des Gelenkes, zum anderen die mögliche Zerstörung der Durchblutung von einzelnen Knochenanteilen.
Die Behandlung zielt darauf ab, eine langfristig schmerzfreie Funktion wieder herzustellen. Möglich ist 1. eine konservative (nicht-operative) Therapie, 2. die operative Einrichtung und Stabilisierung und 3. die Implantation einer Schulterprothese.
Um ein gutes Ergebnis sicher zu stellen, toleriert man nur einen gewissen Grad an Fehlstellung. Zwar weiß man, dass manchmal auch in grober Fehlstellung ausgeheilte Schultergelenke wieder zufriedenstellend funktionieren können, doch kennt man den Zusammenhang zwischen einer guten Funktion und einer Ausheilung in guter Form. Insbesondere berücksichtigt man auch, dass die spätere Korrektur von ausgeheilten Fehlstellungen häufig unbefriedigende Ergebnisse bringt. Je nach Alter und Funktionsanspruch des Patienten akzeptiert man deshalb eine Verschiebung der Knochenanteile von 5 – 10 mm bzw. eine Verkippung von 30°-45°. In diesen Fällen wird die Schulter für etwa 14 Tage im Verband ruhig gestellt. Physiotherapeutisch können in dieser Phase bereits die angrenzenden Gelenke, Schulterblatt und Wirbelsäule behandelt werden. Je nach Stabilität und Schmerzen wird danach langsam die Beweglichkeit des Schultergelenkes beübt. Bis zum Ablauf der 4./5. Woche werden allerdings nur „passive“ Übungen erlaubt, d.h. die Schulter wird vom Therapeuten mit kurzem Hebelarm bewegt. Gut geeignet sind auch eigenständige Übungen mit der Schwerkraft („Pendeln“). Die eigene Muskulatur der Schulter soll noch nicht aktiviert werden, da diese den Bruch in eine Fehlstellung ziehen könnte. Zur Steuerung des Behandlungsfortschrittes muss immer die Beschwerdesymptomatik im Auge behalten werden. Übungen unter starken Schmerzen sind verboten! Die Behandlung sollte ärztlich begleitet werden. Röntgenkontrollen sollten erfolgen, um ein Verschieben des Bruches rechtzeitig zu erkennen. Nach 5 Wochen ist der Bruch meist so stabil, dass man nun zunehmend die Beweglichkeit wieder beüben kann.
Besteht eine Verschiebung oder Verkippung der Knochenteile von mehr als 5 – 10 mm bzw. von 30°-45° sehe ich eine Indikation zur operativen Korrektur. Natürlich spielt dabei auch der individuelle Funktionsanspruch des Verletzten eine Rolle. Zu berücksichtigen ist aber, dass auch alte Menschen auf eine gute und schmerzfreie Funktion der Schulter angewiesen sind, um sich unabhängig zu versorgen. Insbesondere berücksichtigt man auch, dass die spätere Korrektur von ausgeheilten Fehlstellungen häufig unbefriedigende Ergebnisse bringt.
Frakturen des Tuberkulum majus
Die Toleranz hinsichtlich der Verschiebung des großen Rollhöckers ist gering. Durch den Zug der Supraspinatus- und Infraspinatussehen wird er nach oben und hinten gezogen. Dadurch wird der Platz
für die Sehnen und den Schleimbeutel unter dem Schulterdach eingeengt. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass bereits eine Verschiebung von 3 -5 mm zu vermehrten Beschwerden führen kann.
In diesen Fällen ist daher eine Einrichtung des Knochenteils sinnvoll. Da wir eine wirklich genaue Einpassung und sichere Stabilisierung für unabdingbar halten, führen wir den Eingriff nicht nur
unter Röntgenkontrolle sondern über einen 5 cm langen Schnitt unter Sicht durch. Die Fixierung erfolgt je nach Größe des Knochenstückes mit Schrauben und/oder Fäden.
3 – und 4 – Teile Frakturen
Je nach Lage der Teile zueinander erfolgt die Einrichtung offen (unter Sicht) oder (seltener) geschlossen
unter Röntgendurchleuchtung. Oberstes Ziel ist die Wiederherstellung der normalen Form. Muskulatur, Sehnen und Gelenkkapsel müssen dabei so schonend behandelt werden, dass die weitere Schädigung
der „Weichteile“ durch die Operation geringst möglich bleibt.
Die Stabilisierung und Fixierung der Knochenteile ist deshalb erschwert, weil es sich um relativ kurze und kleine Teile handelt, in denen nur eine begrenzte Anzahl von Schrauben Platz findet und
bestimmte Zonen nicht zur Verankerung von Implantaten zur Verfügung stehen (zum Beispiel die Gelenkfläche). Außerdem ist die Knochensubstanz zum einen durch die Verletzung selber, zum anderen
häufig auch durch Osteoporose geschwächt. Dieser Situation müssen die Implantate Rechnung tragen. Wir verwenden deshalb in den meisten Fällen winkelstabile Titanplatten (LINK). Diese sind
insbesondere von Vorteil, da sie eine anatomische Wiederherstellung des Knochens ermöglichen und sie für fast alle Frakturtypen geeignet sind. In bestimmten Fällen werden auch Titannägel,
Drähte oder Schrauben verwendet.
Schulterendoprothese
Die operative Rekonstruierbarkeit von Oberarmkopfbrüchen wird durch 2 Probleme eingeschränkt. Das gilt erstens für Fälle, in denen die knorpelige Gelenkfläche zerstört ist und zweitens für Fälle, in denen durch den Bruch die Durchblutung des Oberarmkopfes unterbrochen wurde. In diesen Situationen kann es erforderlich sein, den Oberarmkopf durch eine Endoprothese zu ersetzen. Die knöchernen Sehnenansätze (Rollhügel, Tuberkula) müssen dabei unbedingt in die anatomische Position gebracht und stabil fixiert werden.
Risiken können durch eine weichteilschonende OP Technik minimiert werden. Wundheilungsstörungen sind sehr selten. Relativ häufig kommt es zu einer mehr oder minder ausgeprägten Steifigkeit des Schultergelenkes. Diese löst sich allerdings in den Monaten nach der Ausheilung wieder auf. Geringe Bewegungseinschränkungen und Kraftminderungen können verbleiben. Problematisch können Fälle sein, in denen es zu einer Durchblutungsstörung des Oberarmkopfes oder der Tuberkula kommt. Auch in diesen Situationen gilt aber, dass die vorrausgegangene optimale Wiederherstellung der anatomischen Form beste Vorraussetzungen dafür schafft, dass die Durchblutungsstörung entweder kaum Beschwerden macht oder im anderen Fall durch den späteren Einsatz einer Endoprothese behandelt werden kann.
Erstes Ziel der Behandlung ist die Ausheilung in anatomischer Form. Die modernen Implantate ermöglichen durch die hohe Stabilität der Konstruktion, gleichzeitig das zweite Ziel zu verfolgen: die frühzeitige Bewegungsbehandlung. Bereits am Tag nach der Operation wird mit Krankengymnastik begonnen. Dabei werden nur Übungen im schmerzfreien Bereich durchgeführt. Zwischendurch wird die Schulter eventuell noch in einem Verband oder auf einem Kissen ruhiggestellt. Zunehmend wird dann aber mit Bewegungsübungen und eigenen Übungen fort gefahren. Nach etwa 6 Wochen ist der Bruch so fest verheilt, dass der Arm im Alltag wieder eingesetzt werden kann und Autofahren nach Rücksprache mit dem Arzt möglich wird. Häufig besteht zu diesem Zeitpunkt aber noch eine eingeschränkte Beweglichkeit und Kraft, die weitere Therapie erforderlich machen. Je nach Verletzungsschwere wird in den meisten Fällen eine freie Funktion nach 2 bis 9 Monaten zu erreichen sein.