Geschichte der Knochenbruchbehandlung

 

Die Behandlung von Knochenbrüchen und von angeborenen oder erworbenen Fehlstellungen war naturgemäß über Jahrtausende eine konservative (nicht-operative)  Therapie. Auch ohne Röntgendiagnostik war zwar das Verständnis für die zu Grunde liegenden Veränderungen und Verletzungen schon bei Hippokrates 460 v. Chr. weit entwickelt. Operative Maßnahmen mussten aber auf Einzelfälle beschränkt bleiben, da sie den Patienten einem erheblichen Komplikationsrisiko aussetzten. Zum Einrichten von Frakturen und Luxationen wurden verschiedene Techniken und auch Apparate entwickelt. Die Stabilisierung erfolgte durch komplexe äußere Schienen und Verbandsanordnungen oder auch durch Extensionsapparate (Zugapparate). Man hatte längst erkannt, dass die Funktion des Bewegungsapparates von seiner Form abhängig war. Nur konnte man mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eine Ausheilung in der normalen, anatomischen Situation selten erreichen und musste Fehlstellung und Funktionsstörung akzeptieren.

Erst die Einführung der Anti- und Asepsis, also der Möglichkeit keimarm oder keimfrei zu operieren (Semmelweis, Lister, Mitte 19.Jh.), die Entwicklung von Narkosemitteln und die Röntgentechnik (1895) versetzten die Ärzte zunehmend in die Lage, gezielt operativ tätig zu werden. Lister selbst führte Drahtungen bei Ellenhaken- und Kniescheibenbrüchen durch. Die ersten Platten/Schraubenkonstruktionen sind von Carl Hansmann in Hamburg 1886 beschrieben.

Der Durchbruch der operativen Knochenbruchbehandlung musste trotzdem noch über 70 Jahre auf sich warten lassen. Bis in die 60 er Jahre fanden die Verfechter operativer Verfahren nur wenig Zuspruch, es musste Pionierarbeit geleistet werden. Albin Lambotte verwendete Anfang des 20. Jahrhunderts u.a. selbst gefertigte, rinnenförmige Platten aus Aluminium, später aus speziellem Stahl. Als Vorraussetzung für eine Verschraubung oder Plattenfixation forderte er eine streng anatomische Einrichtung. Der Begriff „Osteosynthese“ stammt von ihm. Robert Danis (1880-1962) lehnte eine Immobilisation durch Gips grundsätzlich ab, damit füge man dem Unfall noch eine Krankheit hinzu. Er stellte bei jeder Fraktur aus funktionellen Gründen die Indikation zur Osteosynthese (operativen Stabilisierung) und entwickelte das Konzept der interfragmentären Kompression zur kallusfreien primären Knochenheilung. 1938 konstruierte er eine Platte mit welcher axiale Kompression ausgeübt werden konnte, den sog. „Coapteur“. Gerhard Küntscher erreichte durch die experimentelle und klinische Weiterentwicklung der Marknagelosteosynthese ab 1940 ein zunehmendes Interesse der Kollegen. Trotz dieser Entwicklungen war die Knochenbruchbehandlung weiterhin eine Domäne der konservativen Behandlung. Die Verwendung ungeeigneter Implantate zur Osteosynthese führte zu Fehlschlägen und wurde dem operativen Vorgehen an sich angelastet.

Erst 1959 mit dem Zusammenschluss der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) nahm der Fortschritt in der operativen Knochenbruchbehandlung Geschwindigkeit auf. Basis war die Entwicklung und industrielle Herstellung eines geeigneten Instrumentariums, die strukturierte Schulung aller Anwender, eine Erfassung und Dokumentation der Ergebnisse und die Organisation einer experimentellen Forschung. Doktrin war eine anatomische Reposition und absolut stabile Fixation aller Fragmente, die eine frühfunktionelle Nachbehandlung ohne weitere äußere Stabilisierung ermöglicht. Durch Zugschrauben, Plattenspanner oder Kompressionsplatten (DCP) wird eine interfragmentäre Kompression erzeugt, welche eine direkte, kallusfreie Bruchheilung ermöglicht. Die Bildung von Kallus wurde als geradezu pathologisch betrachtet. Es ergaben sich aber dem offenen Verfahren eigene Probleme und Komplikationen, die unten weiter ausgeführt werden. Aus diesem Grund  hatten auch die geschlossenen Verfahren der Marknagelosteosynthese und des Fixateur externe immer einen Stellenwert für bestimmte Indikationen. Die Arbeit und Lehre der AO fand und findet weltweit Anerkennung und führte zur Verbreitung der operativen Knochenbruchbehandlung.

Die Weiterentwicklung der Implantate ist ein andauernder Prozeß, die Konchenbruchbehandlung erfolgt immer differenzierter in Abhängigkeit von der Lokalisation des Bruches, der Knochenqualität und weiterer Faktoren, wie z.B. der Situation der umgebenden Muskeln und der Haut. Seit Ende der 1990er Jahre haben sich zunehmend sog. „winkelstabile Implantate“ für bestimmte Bruchformen als besonders geeignet erwiesen.

 

 

Literatur

1. Das Phänomen AO. Heim, U. Verlag Hans Huber 2001
2. Manual der Osteosynthese. Müller, M.E., Allgöwer, M., Schneider, R., Willenegger,H. 3. Auflage, Springer-Verlag 1992 und frühere/spätere Auflagen